Schottland Teil 2: Überall Schottenröcke und Dudelsackmusik
16.07.2002:
Gefahrene Strecke: 99 km
Heute hieß es Abschied nehmen von Aberdeen. Die Jugendherberge in Aberdeen lag ziemlich zentral in der Stadt und war im Grund gar nicht schlecht, auch wenn ich in den zurückliegenden Tagen und Wochen schon bessere kennen gelernt hatte. Eine gute Einrichtung ist in Großbritannien, dass die Jugendherbergen generell mit Küchen ausgestattet sind, die man als Gast benutzen darf. So ist es möglich, sich auch selbst zu verpflegen.
Wir fuhren aus Aberdeen ab und dann ging es kreuz und quer, meistens die Nordseeküste entlang in Richtung Süden. In einem malerischen Fischerdorf machten wir eine kurze Rast. Dann ging es weiter und wir entdeckten auf einer Halbinsel ein sehr schönes altes Schloss. Es war zwar beschwerlich, dort hinzugelangen, doch schließlich schafften wir es, die vielen Treppen rauf und runter zu laufen. Wir haben uns das Gebäude aber nur von Außen angesehen.
Auf unserer Weiterfahrt gingen wir ein kleines Risiko ein und folgten dem ausgeschilderten Radweg Nr. 1. Ich hatte es in Schottland bislang vermieden, diesen Ausschilderungen zu folgen, weil nicht alle dieser kleinen Wege in meiner Karte eingezeichnet sind. Wenn man dann einmal nicht weiter weiß und die Ausschilderung fehlt, hat man sich sehr schnell verfahren. Zu Zweit wagten wir es aber den Radweg zu benutzen und vertrauten auf eine gute Ausschilderung. Die Ausschilderung war dann auch nicht das Problem, eher die Schotterstrecke, die immer schlechter zu befahren war. Doch es ging dennoch einigermaßen voran. Die Orte, durch die wir fuhren sahen zum Teil völlig verlassen aus.
In dem nächsten größeren Ort,
Montrose, gönnten wir uns dann erst einmal eine Pause und tranken Tee und Cappucino. Schon als wir Montrose erreichten, fing es leicht an zu regnen. Auch nach unserer Pause hörte es nicht auf, doch es war kein so unangenehmer Regen, wie so oft in Deutschland. Es war immer noch ziemlich warm und es war eher ein Sprühregen, sodass wir die 20 km, die wir uns für heute noch vorgenommen hatten, durchaus gut bewältigen konnten.
Die wellige Strecke lies sich auch gut fahren. Es gab keine allzu kräftigen Steigungen und dennoch langgezogene Passagen, auf denen es stetig bergab ging. Wir kamen endlich wieder auf einen Schnitt von ca. 20 km/h. Bei einigen schwierigeren Strecken in den letzten Tagen kam ich manchmal nur auf 12 km/h.
In
Arbroath, einem etwas größeren Ort mit ca. 10.000 Einwohnern, suchten wir uns ein Quartier.
Im Bed&Breakfast Büro waren auch eine ganze Reihe von Angeboten vorhanden. Schon mit der zweiten Adresse hatte es geklappt. Doch das Haus zu finden war dann doch nicht ganz einfach. Als wir noch etwas ratlos waren, in welche Richtung wir überhaupt fahren sollten, sprach uns eine Passantin an, ob sie uns helfen könnte. Sie brachte uns dann bis zur Straße, in die wir wollten. Für uns wieder einmal ein Beispiel, wie nett und hilfsbereit die Menschen hier in Schottland sind.
Unsere Vermieterin gab uns für den Abend einen Tipp, wo man in Arbroath gut Fisch essen könnte. Es hatte sich wirklich gelohnt, denn die Fischgerichte waren wirklich ganz toll.
Bis
Dundee sind es nur noch ca. 20 km - wir liegen also voll im Zeitplan.
17.07.2002:
Gefahrene Strecke: 97 km
Wieder einmal konnten wir mit dem Wetter in Schottland zufrieden sein. Nach dem Frühstück fuhren wir jedenfalls bei schönstem Sonnenschein los. Dann fing es zwar ganz leicht zu regnen an und danach blieb es bedeckt aber es fiel uns wieder einmal auf, dass es hier nicht so krasse Temperaturunterschiede gibt, wie in Deutschland. Das ist wahrscheinlich auch der Grund für die wunderschöne Pflanzenwelt. Überall sprießt es in den herrlichsten Farben.
Wir folgten heute wiederum größtenteils dem Radweg Nr. 1. Unser Vermieter erzählte uns beim Frühstück davon, dass erst in diesem Jahr die komplette Ausschilderung fertiggestellt wurde. Davon konnten wir uns unterwegs auch überzeugen: die angebrachten Richtungsanzeiger waren wirklich vorbildlich! Auch die kleinen Wege, die wir ohne die Ausschilderung nie und nimmer gefunden hätten, waren einfach nur toll.
Nachdem wir die Stadt
Dundee verlassen hatten, gab es für uns noch eine Besonderheit zu bestaunen: über eine Brücke, die einen Firths, also einen schottischen Fjord, überquerte, war der Radweg genau in der Mitte einer Autobahn angelegt. Es war zwar ein etwas komisches Gefühl aber man war gut abgeschirmt von den Autos und konnte den Weg auch gut befahren. Im Reiseführer stand etwas davon, dass man am Ende der Brücke das Fahrrad mühselig über ein Treppensystem tragen musste, doch hier hat sich in der Zwischenzeit wohl etwas getan, denn wir konnten einen Fahrstuhl benutzen.
Auf unserem weiteren Weg kamen wir durch den Ort
Saint Andrews, der eine Kathedrale, eine Burgruine und eine schöne Altstadtmauer zu bieten hat.
Unser heutiges Etappenziel hieß
Falkland. Ein kleiner Ort etwa 60 km von Edinburgh entfernt. Eigentlich ist in diesem Ort nicht viel los, aber die meisten Häuser stehen unter Denkmalschutz und außerdem gibt es hier einen richtigen königlichen Palast, den die Stuarts damals als Jagdschloss nutzten.
Der
Falkland Palace ist damit auch die Hauptattraktion der Gegend und schon deshalb ist dieser kleine Ort ein richtiges Ausflugsziel.
In Falkland bezogen wir ein Zimmer in einem sogenannten Backpacker Hotel, das einer Jugendherberge vergleichbar ist. Man schläft in Mehrbettzimmern und kann sich auch selbst verpflegen. Am Abend gingen wir noch im Ort spazieren und suchten dann ein Lokal auf, das mit etlichen Auszeichnungen aufwarten konnte. Wir ließen es uns dort so richtig gut gehen.
18.07.2002:
Gefahrene Strecke: 73 km
Heute Morgen buchten wir telefonisch eine Unterkunft in der Jugendherberge in
Edinburgh, unserem nächsten Etappenort. Es war schon wichtig, dies im voraus zu erledigen, denn die erste Herberge, die wir anriefen, war schon ausgebucht. Bei der zweiten hat es dann zum Glück geklappt.
Danach sahen wir uns noch den Palast in Falkland mit seiner schönen Gartenanlage an. Bis Ende der fünfziger Jahre war das Schloss übrigens noch bewohnt und ist deshalb noch immer in einem recht guten Zustand.
Gegen Mittag machten wir uns dann auf den Weg in Richtung
Edinburgh. Ich meinte es sind bestimmt nur etwa 60 bis 65 Kilometer, Bernhard, der immer etwas pessimistischer ist, befürchtete es seien mindestens 80 Kilometer. Am Ende sollte keiner von uns beiden recht behalten: es waren 73 Kilometer. Gut, er war näher dran mit seiner Schätzung - ich gönnte ihm den Triumph. Er musste ohnehin heute mehrfach leiden. Er hatte in Schottland nicht mit solch intensiven Sonnenstrahlen gerechnet und holte sich gleich einen Sonnenbrand. Dann hatte ich ihm empfohlen, spezielle Pedale an sein Rad zu montieren, die sowohl mit einem Einklick-System als auch mit einer 'normalen' Seite benutzt werden können. Manchmal vergaß Bernhard, dass er mit seinen Schuhen fest verbunden war, kam nicht rechtzeitig aus den Pedalen heraus und fiel dann einfach um, der Arme. Irgendwann wird er es gelernt haben.
Zum ersten Mal seit Bernhards Ankunft mussten wir ein paar Berge überwinden und zum ersten Mal hat
Bernhard auch ein sogenanntes 'Loch', so werden in Schottland die Seen genannt, gesehen. Also ein Tag mit mehreren Premieren.
In einem Park machten wir eine Pause, genehmigten uns ein Eis und ließen uns die Sonne auf den Bauch scheinen.
Kurz vor Edinburgh mussten wir über eine riesige Brücke fahren und kamen dann auf ganz kleinen Straßen und Wegen bis direkt in die City von Edinburgh. Unsere Jugendherberge war auch ganz leicht zu finden, denn sie befindet sich ziemlich zentrumsnah.
Ganz toll finden wir das Verkehrskonzept in den englischen Städten: die gesonderten Busspuren sind auch für Taxis und für Radfahrer freigegeben. Da macht es richtig Spaß durch die Innenstädte zu fahren.
In
Edinburgh wollte ich mir zunächst einen Stadtplan im Tourist-Office besorgen. Obwohl 12 Schalter geöffnet waren, dauerte es länger als eine halbe Stunde, bis ich endlich dran war. Bei der Wärme am heutigen Tag war das wirklich kein Vergnügen in dieser Halle so lange herumzustehen. Ich hatte nur gehofft, auch keine Frage, die ich noch stellen wollte, zu vergessen. Noch einmal anstellen wollte ich mich nämlich nicht. Ich bekam den Plan und alle anderen Fragen, die ich hatte, wurden zum Glück auch gleich beantwortet.
Wir hatten uns noch einen Tipp geben lassen, wo man gut essen kann und ließen dann beim Abendessen den Tag gemütlich ausklingen. Dies ist übrigens gegenüber der Zeit, als ich allein unterwegs war, wirklich angenehmer. Zu Zweit ist es doch viel schöner Essen zu gehen als allein!
19.07.2002:
Gefahrene Strecke: 0 km
Heute fuhren wir keinen einzigen Meter mit unseren Rädern. Dafür erledigten wir andere Dinge, z.B. Wäsche waschen. Dabei hat sich wieder einmal als vorteilhaft erwiesen, dass in den Jugendherbergen hier immer eine Waschmaschine und ein Trockner zur Verfügung steht. So war dieses Thema schon vor und während des Frühstücks schnell erledigt.
Anschließend kauften wir uns ein Ticket für eine Sightseeing-Tour durch
Edinburgh. Die Busse fahren in einem Rundkurs durch die Stadt. Man kann jederzeit aussteigen, sich irgendeine Sehenswürdigkeit näher ansehen und nimmt dann einfach den nächsten oder übernächsten Bus, denn die Tickets behalten ihre Gültigkeit und alle 15 Minuten hält wieder ein Bus. Wir hatten uns für ein Kombi-Ticket entschieden, sodass nicht nur die Innenstadt, sondern in unserer Tour auch der Botanischen Garten und der etwas außerhalb gelegenen Hafen mit eingeschlossen war. Den ganzen Tag hatte es zwar geregnet aber dies störte uns bei der Stadtrundfahrt nicht allzu sehr.
Anschließend gingen wir noch in ein Internet-Café, um die vielen emails abzuholen und zu beantworten. Ich freute mich riesig, wie viele Freunde und Bekannte mir auf diesem Weg Grüße geschickt haben. Ich bekam sogar Post von Bekannten, mit denen ich schon seit längerer Zeit keinen Kontakt mehr hatte. Jetzt hatten sie von meiner Tour gehört und schrieben mir spontan wieder - einfach toll!
Am frühen Abend besuchten wir ein Konzert in der
St. Mary's Cathedral.
Es war eine ungewöhnliche Zusammenstellung, denn es spielte zum einen die
Central Band of the Royal British Legion Scotland und zum anderen die Gruppe
Celtica. Beide Bands spielten natürlich schottische Musik - aber jede in einem völlig anderen Stil. Die Gruppe Celtica hat schon zahlreiche Auszeichnungen und Preise gewonnen und es war ein Genuss, ihnen in der Kirche zuzuhören. Aber auch als die Militärband das bekannte 'Amazing raise' anstimmte, bekam man eine 'Gänsehaut'.
Anschließend ließen wir den Abend in einem Pub ausklingen. Erstaunt waren wir, dass die Pubs immer so voll besetzt sind. Man bekommt kaum einen Platz. Es wird fast immer Livemusik gespielt und die Atmosphäre ist irgendwie ganz anders, als bei uns in den Kneipen.
Als Ziel für den morgigen Tag hatten wir uns das etwa 70 km entfernte Melrose gesteckt.
20.07.2002:
Gefahrene Strecke: 82 km
Schon am Morgen machten wir uns auf den Weg und verließen Edinburgh. Es nieselte die ganze Zeit aber es störte uns nicht sehr. Bernhard war eigentlich auch ganz froh über dieses Wetter, denn so konnte er endlich die Fotos machen, die man von Schottland eigentlich auch erwartet: mit Nebel in den schottischen Bergen!
Herrlich war dann eine ca. 10 km lange Abfahrt. Man fährt ständig bergab ohne irgendwelche Haarnadelkurven, immer nur geradeaus. Ohne große Kraftanstrengung ging es voran. Da machte uns auch der Regen nichts aus.
In einem kleinen Ort machten wir dann erst einmal ein paar Besorgungen, gaben Briefe und Postkarten auf. Anschließend kamen wir auf einer ganz kleinen durch ein wunderschönes Tal. Es waren hier nur ganz wenige Autos unterwegs. Es hätte unendlich so weiter gehen können, doch dann wurden wir durch einen richtigen starken Regenguss wieder aus allen Träumen gerissen.
Wir besichtigten erst einmal ein altes Herrenhaus mit witzigen Türmchen, verwinkelten Ecken und einer hübschen Gartenanlage.
Es war das Haus, in dem der bekannte Schriftsteller
Sir Walter Scott (Ivanhoe, Quentin Durward) lange Zeit lebte. Beeindruckend war vor allem seine gigantische Büchersammlung: die private Bibliothek umfasst sage und schreibe über 7000 alte Bücher!
Dann erreichten wir unser Etappenziel
Melrose, ein Ort in dem eigentlich nicht viel los ist. Aber in Melrose gibt es eine Abbey (Abtei) und schon deshalb ist der Ort ziemlich bekannt.
Abends gingen wir - wie kann es anders sein - wieder einmal in einen Pub. In den Pub's gibt es unwahrscheinlich viele verschiedene Biersorten und alle vom Fass! Und außerdem natürlich auch noch die verschiedenen Whiskeysorten. Es gehen übrigens nicht nur Männer in die Pubs, Frauen gehören hier ganz selbstverständlich auch zu den Gästen.
21.07.2002:
Gefahrene Strecke: 103 km
Unser heutiger Trip führte uns von
Melrose nach
Bellingham. Es war heute über 20 Grad warm und es taten sich auch hin- und wieder Wolkenlücken auf. Wir folgten zunächst wieder dem Radweg, doch ohne eine Karte, in der dieser Weg eingezeichnet ist, war es sehr schwer, die richtigen Abzweigungen zu finden und so verfuhren wir uns. Als wir dann wieder die größere Straße erreichten, mussten wir wieder ein paar Berge überwinden, legten noch ein kleines Picknick ein und bekamen prompt Zeitprobleme. Dann ging es aber wieder kilometerlang nur noch bergab und wir holten die verlorene Zeit leicht wieder auf.
Unterwegs hatten wir die Grenze von Schottland nach
England überquert. Mit einem großen Schild "Welcome to England" wurden wir im neuen "Land" Willkommen geheißen. Ein kurzer Blick zurück: richtig, auf der Rückseite des Schildes stand "Welcome to Scotland". Einen Unterschied bemerkten wir dann auch gleich, denn hier werden die Seen nicht mehr "Loch", sondern "Water" genannt. Es gibt zwar auch in Nordengland noch eine Reihe von Schlössern, doch diese sind anders als die in Schottland in der Regel nicht für Besichtigungen geöffnet, sondern beherbergen Gaststätten oder werden für diverse Veranstaltung genutzt.
Unterwegs kamen wir in einem kleinen Ort an einem Kaufmannsladen vorbei. Der Laden kam wie gerufen, denn wir mussten noch für den nächsten Morgen Lebensmittel einkaufen. Doch an der Ladentür stand ein Schild mit der Aufschrift "Sunday closed". Dennoch versuchte ich mein Glück uns siehe da, die Tür war nicht verschlossen. Als ich den Ladenbesitzer fragte, ob der Laden doch geöffnet ist, obwohl doch heute Sonntag sei, antwortete er nur: "May be." Anscheinend nimmt man es hier mit den Ladenöffnungszeiten nicht ganz so genau wie in Deutschland. Uns war es recht, denn wir konnten so doch noch Brot, Milch und Käse für den nächsten Tag einkaufen.
Unser Zielort bietet eigentlich nichts Besonderes, bis auf die uralte Jugendherberge in der wir untergekommen sind. Angeblich ist es die erste Jugendherberge in ganz Großbritannien. Sie wurde schon 1936 in Betrieb genommen. Seit damals scheint die Zeit hier auch stillgestanden zu haben. Die Jugendherberge besteht im Grunde nur aus zwei Hütten mit je einem großen Schlafsaal und ist total einfach eingerichtet. Wir sind aber die einzigen Gäste hier. Der Herbergsvater, ein witziger Typ und unheimlich gesprächig, fragte uns, ob wir denn gemeinsam in einem Saal schlafen wollen. Mit einem Augenzwinkern sagte er zu mir: "Say no!". Wir entschieden uns dann aber doch für ein gemeinsames Zimmer.
Für Morgen haben wir uns noch nicht entschieden, entweder geht es über die Berge oder durch
Newcastle hindurch. Eigentlich müsste ich sagen: "ich habe mich noch nicht entschieden". Bernhard hält sich zurück, mir bei solchen Entscheidungen hineinzureden. Es sei halt meine Tour und ich soll selbst entscheiden, wo es lang geht.