Norwegen Teil 1: Schlechte Radwege, Berge und ein Zusammenstoß
18.06.2002Gefahrene Km: 105
Nach einem guten, diesmal selbst organisiertem Frühstück, bin ich
los Richtung Norwegen. Noch 7 Km bis zur Svinesondbrücke und schon
habe ich es geschafft. Zunächst suche ich eine Bank, die mir meine
letzten dänischen und schwedischen Kronen in die norwegische Währung
umtauscht, schließlich bin ich die nächsten 14 Tage in diesem Land.
Schade, dass auf meiner Reise der Euro keine Bedeutung hat.
Es ist schon ein tolles Gefühl, über 1.500 Km von Zuhause
entfernt, wieder eine neue Sprache, neues Geld, eine neue Landschaft
und ein neuer Radweg. Komisch ist, dass sich wirklich gleich hinter
der Grenze die Landschaft ändert.
Der Radweg wird teilweise zur Katastrophe. In Richtung
Friedrichstadt geht es auf unbefestigten Wegen weiter. Hinter ein
scharfen Kurve geht es extrem steil nach oben, sodass ich keine
Zeit mehr zum Schalten habe und absteigen muss. Das Fahrrad
hochzuschieben ist aber noch schwieriger, als hochzufahren. Auf der
anderen Seite geht es ebenso steil wieder bergab.
Ein Blick auf meinen Tacho und ich erstarre vor Schreck. Irgendwo
auf diesem holprigen Weg muss der Tacho vom Rad abgefallen sein. Ich
ärgere mich tierisch, aber die ganze Strecke zurück zu fahren und
danach zu suchen will ich auch nicht.
Es regnet wieder. Der Radweg wird kreuz und quer geleitet, bis
ich mich in einem Wald wiederfinde und nur noch weiß, dass ich hier
nicht mehr auf dem richtigen Weg bin. Schilder gibt es nicht mehr.
Schreck lass nach. Meine Rettung ist ein Förster, der mir mit seinem
Auto entgegenkommt. Mit seinen wenigen Kenntnissen in Englisch und
meinen fehlenden in der norwegischen Sprache, versucht er mir den
Weg für die nächsten 40 Km zu erklären, bis er einsieht, dass mir
das auch nicht weiterhilft. Also fährt er vor und geleitet mich
zurück bis zur nächsten Hauptstraße. Am liebsten hätte er mich wohl
eingepackt und bis zu meinem Ziel gefahren, so besorgt war er um
mich.
Schließlich bin ich am Abend hungrig, ausgepowert und wieder bis
auf die Haut nass, in der Jugendherberge in
Moss angekommen. In
einem großen Schlafsaal hänge ich meine Sachen zum Trocknen auf,
bevor ich mich auf die Suche nach etwas Essbaren mache. Im Regen
wandere ich durch die Stadt bis ich ein Lokal finde, dessen Tische
fast alle besetzt sind; ein gutes Zeichen.
Irgendwie nervt mich der Regen heute, schöner ist es schon, wenn
die Sonne scheint.
19.06.2002
Gefahrene Km: 90
Das Frühstück in der Jugendherberge war wie in einem First Class
Hotel. Es gab alles was mein Herz begehrte. Aber ich hatte noch viel
vor heute. Die Tage sind hier zwar länger als Zuhause, ich wollte
heute aber noch irgendwo ankommen.
Zunächst ging es mit mit einer Fähre hinüber nach Horten. Dort
kaufte ich mir zunächst einen neuen Tacho und schickte mit der Post
die letzten Filme und die nicht mehr benötigten Landkarten nach Hause. Bis das alles erledigt war, war es schon 11.30 Uhr. Jetzt
musste es aber losgehen.
Aufgrund des Regens gestern war der Weg nicht mehr so gut, nur
Matsch, Pfützen und Baumwurzeln. Ich kam sehr langsam voran. Ein
Weg, der zum Fahrradfahren völlig ungeeignet war.
Weiter ging es über eine Brücke Richtung Nestroy. Wieder ein
Fähre. Eine Stunde Wartezeit und eine halbe Stunde Überfahrt. So
komme ich natürlich nicht zügig weiter. Ich habe das Gefühl, dass
ich überhaupt keine Zeit habe, mir all die Sachen anzuschauen, die
in dem Reiseführer beschrieben sind.
Mittlerweile ist es schon nach 18.00 Uhr und ich habe immer noch
keine Unterkunft gefunden. Vor lauter Verzweiflung frage ich in
einem Hotel nach, aber umgerechnet 100,00 Euro für eine Nacht ist
mir zu teuer. Also geht es weiter. Der Wind ist heute wieder so
stark, dass ich auch beim Bergabfahren tüchtig treten muss, um
voranzukommen.
In
Staven finde ich dann eine Unterkunft. Bed and breakfast wurde
angeboten. Ich baue noch den Tacho an das Rad und gehe dann, so
dreckig und durchgeschwitzt wie ich bin, essen. Gegen 22.00 Uhr
falle ich todmüde ins Bett.
20.06.2002
Gefahrene Km: 70
Das Wetter heute ist total schön. Ich muss mich entscheiden, ob
ich alles sehen will, was mir der Reiseführer auf dem Weg
verspricht, oder ob ich weiterfahren will. Ich entscheide mich für's
weiterfahren. Im nächsten Fischerdorf siegt dann doch meine
Neugierde und ich schaue mir den Ort erst einmal an.
Wieder eine Entscheidung: Entweder 40 Km bergauf und bergab um den
Fjord herum oder die Fähre auf die andere Seite nehmen. Ich
entscheide mich für die Fähre von Helgero nach Langesund. Aber das
ist nicht so einfach. Zunächst einmal musste ich den Fährmann
überzeugen, dass er überhaupt fährt. Eigentlich ist noch keine
Saison und die Fähre fährt nur in Ausnahmefällen. Nach langer
Diskussion will mich der Fährmann übersetzen. Da die Fähre in
zweiter Reihe, also "das Boot hinter dem Boot" ist, wie mir ein
junger Mann erklärte, schaffe ich es nur mit seiner Hilfe mein
Fahrrad auf die Fähre zu bringen.
Mitten im Fjord ist eine Insel, auf der der Fährmann erst einmal
für eine Stunde Pause macht. Auch nicht schlecht. Ich nutze die
Zeit, um mein Tagebuch zu vervollständigen. Die weitere Strecke auf
dem Fjord ist sehr holprig. Ich habe Glück, dass ich nicht seekrank
geworden bin. Mit Hilfe eines anderen Fahrgastes halte ich mein
Fahrrad fest, musste aber froh sein, nicht selbst über Bord zu gehen.
Und das auf einer Radtour.
Nach über zwei Stunden bin ich wieder auf dem Radweg. Der
Reiseführer beschreibt ihn als sehr idyllisch und spannend. Der Weg
führt mich durch einen Wald, auf losem Schotter geht der Weg mit
einer Steigung von 18 % bergauf und genauso steil wieder bergab. Hier
kann ich nur noch schieben. Irgendwie bekomme ich noch eine Krise
bei diesen Wegen.
In
Kragero finde ich ein Zimmer im Sporthotel am Hafen. Hier
überzeugt mich eine Frau, doch noch ein Tag länger zu bleiben und
mir auf den vorgelagerten Inseln die Sehenswürdigkeiten,
Überbleibsel aus der Eiszeit, anzuschauen.
Nach 20 Tagen Rad fahren, will ich morgen einen Tag Pause machen.
Ich muss mich dringend von den Anstrengungen der letzten Tage
erholen.
21.062002
Heute ist Pause. Ich habe den ganzen Tag nur rumgegämmelt und bin
am Abend doch müde.
Die Insel zu der ich mit der Fähre übersetze, ist ein Überbleibsel
aus der Eiszeit. 7 Km lang und 1 Km breit. Es leben dort 200
Einwohner, außerdem gibt es dort viele Sommerhäuser. Die eine Stunde
Fahrtzeit durch den Fjord lohnt sich. Häufig ragen bewaldete Felsen
aus dem Wasser, alles ist sehr grün, einige bunte Holzhäuser sind
auf den kleinen Inseln zu sehen, das Wasser ist tiefblau und die
Sonne setzt alles in ein rechtes Licht.
Auf der Fähre erfahre ich, dass es ein "special experience" auf
der Insel zu sehen gibt. Bevor ich mich diesem Erlebnis stelle,
fahre ich die einzige Straße auf der Insel ab. Bei einem alten
Leuchtturm gibt es ein Kaffeegarten. Ich bestelle mir frische
Waffeln. Dann besuche ich die alte Schule auf der Insel. Hier haben
sich zwei Malerinnen Ateliers und Ausstellungsräume eingerichtet.
Den ganzen Winter über wurden die Bilder gemalt und heute wird die
Ausstellung eröffnet. Es ist ein wirkliches Erlebnis, sich die
ausgestellten Bilder anzuschauen.
Abends in der Unterkunft schreibe ich noch eine Liste über die
bisher verlorenen Gegenstände: Ein Paar Socken, ein Trageriemen für
die Gepäcktaschen, eine Taschenlampe und einen Tacho. Ich hoffe, dass
das nicht so weitergeht.
22.06.2002
Gefahrene Km: 98
Der Tag Pause gestern, war gut für Kopf und Körper. Die
Anstrengungen der letzten Tage hatten doch Spuren hinterlassen.
Die Fähre, die mich weiterbringen soll, fährt erst um 10.00 Uhr.
Am anderen Ufer angekommen, kann ich rund 20 Km Rad fahren, und muss
auf die nächste Fähre warten. Leider fängt es wieder an zu regnen.
Ich stelle mich im Wartehäuschen unter. Hier stelle ich fest, dass
der Sommerfahrplan noch nicht gültig ist. Zwei Stunden Wartezeit
stehen mir bevor. Ich überlege noch, ob ich mir ein Wassertaxi
organisiere oder doch den Weg außen herum fahre, als ein VW-Bus
anhält. Der Fahrer steigt aus uns studiert ebenfalls den Fahrplan.
Ich erkläre ihm, dass wir noch zwei Stunden warten müssen.
Der Fahrer entscheidet sich, den Weg über die Straße zu nehmen
und bietet mir an, mit ihm mitzufahren. Schnell ist das Fahrrad
verstaut, alle müssen etwas näher zusammenrücken und dann erlebe
ich 90 Minuten Autofahrt, für die ich mit dem Fahrrad den ganzen Tag
gebraucht hätte.
Auf der anderen Seite vom Fjord setze ich die Fahrt aus eigener
Kraft wieder fort. Jetzt geht es über kleinere Straßen recht gut
voran.
In
Arendal erkundige ich mich auf dem Campingplatz nach einer
Hütte für die Übernachtung. Ich soll mir eine recht einfach
eingerichtete Hütte erst einmal anschauen und dann entscheiden, ob
ich bereit bin, dafür 250 Kronen auszugeben. Die Hütte ist sauber
und für eine Nacht in Ordnung. Zurück bei der Rezeption erklärt
mir
der Portier, dass sein Chef gerade mitbekommen hat, dass ich mit dem
Fahrrad unterwegs bin, und will mir zum gleichen Preis eine
komfortablere Hütte zur Verfügung stellen. Natürlich greife ich zu.
23.06.2002
Gefahrene Km: 91
Pünktlich zum Losfahren fängt es wieder an zu regnen. Also ziehe
ich wieder meine Regensachen über. Aber schon nach einer Stunde
ziehe ich es vor, etwas luftiger auf dem Fahrrad zu sitzen. Da
es bei dem Regen nicht kalt ist, und ich mich beim bergauf fahren
anstrengen muss, bin ich nicht nur vom Regen total nass geworden.
Heute fahre ich einen Grossteil der Strecke auf der E 18. Hier
herrscht kaum Verkehr. Teilweise gibt es auch einen Radweg direkt
neben der Straße. Obwohl es wieder sehr windig ist, komme ich gut
voran. Mittags erreiche ich den Ort Birkeland. Hier gibt es ein
Stück Pizza und einen Kaffee.
Die Weiterfahrt führt an einem großen Fluss entlang. Ich fahre
kleine Hügel hoch, riesige Bäume erstrecken sich neben mir in den
Himmel und der Fluss schlängelt sich unten im Tal durch die
Landschaft. Es ist einfach wunderschön hier.
Kurz vor
Kristiansand muss ich noch eine Brücke über den Fjord
überqueren. Dann habe ich mein heutige Etappenziel erreicht. Ich
schaue mir noch die Stadt an, bevor ich mich in der Jugendherberge
einchecke.
Hier habe ich wieder die Möglichkeit im Internet-Kaffee meine
Post abzuholen. Über eine Stunde brauche ich für das Lesen und
Beantworten der vielen Nachrichten, die mich über die Adresse "
"
erreichten.
Ab morgen ist die künftige Route in einem neuen Reiseführer
beschreiben. Ich erhalte jetzt auch Angaben über die Beschaffenheit
der Strecke und ein Höhenprofil.
24.06.2002
Gefahrene Km: 95
Eigentlich ist jetzt die Zeit, wo die großen Mitsommernachtsfeste
gefeiert werden. Aber auch an meinen drei Mitbewohnerinnen gestern
in der Jugendherberge sind diese Feiern vorbeigegangen. Vielleicht
feiern die Norweger alle heimlich.
Heute scheint wieder einmal die Sonne. Nach meinem Reiseführer
soll die Strecke anspruchsvoll werden, was so viel bedeutet wie:
Berge, Berge, Berge. Aber meine Radtour ist ja freiwillig und so
fahre ich in diesen wunderschönen Tag hinein.
Weil es zunächst auf der E 18 / E 39 weitergeht, setzte ich heute
gleich zu Beginn der Fahrt meinen Fahrradhelm auf. Viele Autofahrer sind
hier nicht so tolerant wie bei uns Zuhause. Dann aber geht es weiter
auf kleineren Straßen und schließlich auf Radwegen, abseits von
jedem Autoverkehr. Über 2.000 Km bin ich jetzt schon unterwegs.
Bisher brauchte ich den Helm nicht. Bisher. Der Radweg schlängelte
sich den Berg hoch und genauso kurvenreich wieder hinunter. Ich
konnte dennoch das Fahrrad rollen lassen und freute mich über die
schöne Abfahrt.
Dann stand sie vor mir. Eigentlich fuhr sie ja. Leider auf der
falschen Radwegseite. Und ausweichen wollte oder konnte sie wohl
auch nicht mehr. So lernte ich samt des Fahrrades fliegen, inklusive
Salto. Bis ich mich auf der Straße und das Fahrrad über mir wieder
fand. Eine ältere Dame war in Ihrem AOK-Shopper unterwegs. Es war
ihr wohl sichtlich unangenehm, denn sie war es, die auf der falschen
Seite spazieren gefahren war.
Die Fahrradtaschen waren abgefallen, die Kette abgesprungen und
die Schaltung war verklemmt. Außer einem Schreck hatte ich mir ein
paar Schrammen am Arm geholt und mein Finger tat höllisch weh. Ich
hätte heulen können, vor Wut.
Der Fahrradhelm hatte übrigens gute Dienste geleistet. Man sollte
doch nicht ohne...
Weiter ging es, die Knie zitterten noch ein wenig, in ein
Schärengebiet hinein. Die Sonne tat alles um mich wieder
aufzurichten. So machte ich erst einmal Pause, um mich von dem
vorangegangenen Schreck zu erholen.
Am Nachmittag erreichte ich die südlichste Stadt Norwegens:
Mandal. Die Häuser hier sind alle ganz in weiß angestrichen worden.
Ich hatte eine riesigen Hunger, den ich bei Kaffee, Kuchen und
anschießendem Krabbenbaguette stillte. Am liebsten hätte ich
hinterher noch ein Eis gegessen.
Nach einigen heftigen Steigungen, an Flussläufen entlang, führte
mich der Weg wieder zum Meer zurück. Bisher hatte ich keine
Gelegenheit gefunden, mir eine Unterkunft zu suchen. Da es schon
spät war, quartierte ich mich in einem Hotel in
Spangereid ein.