Norwegen Teil 2: "Ich glaub', ich krieg 'ne Krise"
25.06.2002
Gefahrene Km: 48
Der Radführer kündigt für heute vier Steigungen und eine
zauberhafte Felsenlandschaft an. Außerdem gibt er den Rat, dass man
sich doch vor der letzten Steigung stärken solle.
Die Steigungen hatten es wirklich in sich. Über lange Strecken
musste ich im Stehen fahren, um die knüppelharte Strecke zu meistern.
Um so mehr freute ich mich über die schönen Abfahrten.
Unterwegs traf ich einen weiteren Radwanderer, sein Fahrrad den
Berg hochschiebend. Auch aus Deutschland kommend, unterhielten wir
uns gut eine Stunde und tauschten Erfahrungen über Unterkünfte, die
Radstrecke und vieles mehr aus.
Am Nachmittag war ich in Farsund, wo ich mir über das
Touristoffice eine Unterkunft suchen ließ. Auf einem alten Bauernhof
bekam ich ein Zimmer.
Die Quartiere werden hier oben immer seltener. Die nächste
Möglichkeit zum Übernachten ist erst in gut 50 Km. Bei den mir noch
bevorstehenden Steigungen wollte ich mir diese Strapazen für heute
ersparen.
26.06.2002
Gefahrene Km: 58
Ich dachte, gestern wäre der schlimmste Tag auf meiner Radtour
gewesen, aber heute war es noch schlimmer.
Bereits in der Nacht fing es an zu regnen. Wenn ich das hier
überhaupt noch Regen nennen kann. Es schüttet den ganzen Tag wie aus
Eimern. Um die Witterung abzurunden, gibt es noch einen kräftigen
Wind, der mir den Regen in das Gesicht peitschte. Oben in den Bergen
war der Regen so stark, dass ich kaum 20 Meter weit schauen konnte.
Die Krönung waren dann noch heftige Gewitter.
Morgens versuchte ich noch meine heutige Tour hinauszuzögern, in
der Hoffnung, dass der Regen bald nachlassen würde. Aber auch nach
einem Stück Kuchen und einer Tasse Kaffee zum Frühstück wurde es
nicht besser. Und irgendwann einmal musste ich ja weiter.
So quälte ich mich dreieinhalb Stunden im Unwetter durch die
Berge, bis ich auf einem Campingplatz in der Nähe von Flekkefjord
eine Hütte für diese Nacht mieten konnte. Leider gibt es um diese
Jahreszeit hier noch keine richtigen Einkaufsmöglichkeiten. An
der Rezeption konnte ich nur eine Dose Labskaus erwerben. Den Topf
und einen Dosenöffner musste ich mir leihen.
Jetzt liege ich im Bett, gebe meinen Bericht für den heutigen Tag
durch und hoffe, dass sich der Wetterbericht für morgen geirrt hat.
Es soll Regen geben.
27.06.2002
Gefahrene Km: 88
Petrus hatte Erbarmen mit mir und ließ es nur leicht nieseln,
später dann auch aufklaren. Vielen Dank dafür.
Gleich zu Anfang meiner heutigen Route musste ich mich
entscheiden, ob ich sieben Km über einen Berg, oder zwei km durch
einen Tunnel fahren möchte. Der Berg ist sehr anstrengend und der
Tunnel sehr gefährlich. Ich entschied mich für den Berg.
In Flekkefjord kaufte ich mir noch Proviant für heute, denn auf
den nächsten 40 km sollte es keine Einkaufsmöglichkeit mehr geben.
Über endlose Serpentinen schraubte ich mich die Berge hoch.
Unterwegs traf ich einen weiteren Radwanderer, der wie ich den
Nordseeradweg abfahren wollte. Ich schob mit ihm zusammen kurze
Zeit mein Rad den Berg hoch. Da das Schieben aber mühseliger ist als
hochfahren, trennten sich bald wieder unsere Wege.
Ansonsten traf ich auf der Strecke in den Bergen keine andere
Menschenseele. Als wenn ich allein auf der Welt wäre, radelte ich
vom Meeresspiegel bis hoch in die Berge und wieder hinunter.
Kurz vor Egersund musste ich doch noch durch einen Tunnel
fahren. Er war zwar nicht lang, aber so dunkel, dass ich meine Hand
nicht mehr vor Augen sehen konnte. Ich versuchte diese Strecke so
schnell wie möglich zu überwinden, schließlich war mir nicht so
recht wohl in der Dunkelheit.
Meine nächste Unterkunft auf einem Campingplatz buchte ich von
unterwegs. Man gut dass mein Handy hier funktioniert. Als ich
aber zwei Stunden später auf dem Campingplatz ankam, war die
gebuchte Hütte schon vergeben. Der Besitzer des Platzes hatte mich
nicht mehr erwartet.
Als Entschädigung bekam ich die schönste Hütte, sehr
komfortabel
mit Licht, Heizung und Blick auf's Meer für den gleichen Preis. Auch
verriet mir der Portier, unter welcher Dusche ich für fünf Kronen,
solange ich wollte, heißes Wasser bekam. Ich glaube, dass war der
gerechte Ausgleich für den gestrigen Tag.
28.06.2002
Gefahrene Km: 90
Für die heute gefahrenen 90 Km habe ich gut sieben Stunden im
Sattel gesessen. Es ging los über die E 44, dann auf eine alte Straße und schließlich über eine 8 Km lange Strecke auf
einen
Wanderweg. Die Strecke war zwar sehr schön, aber absolut nicht zu
befahren. Auf dem sehr schmalen "Trampelpfad" hatte ich Mühe, das
Rad die Steigung hoch zu schieben. Ich hatte mir ernsthaft überlegt,
das Gepäck abzunehmen und getrennt vom Fahrrad den Berg hoch zu
schleppen.
Dann wurde es von einem Augenblick zum anderen flach. Dafür wurde
es stürmisch. Im kleinsten verfügbaren Gang kämpfte ich gegen den
unsichtbaren Feind, den Wind. Nach vier Stunden Fahrzeit gönnte ich
mir eine Pause. Mein Tacho zeigte gerade mal eben 40 Km an. Hier bei
einem alten Leuchtturm traf ich zwei Radfahrer, die mir den Tipp
gaben, doch mehr im Landesinneren und nicht so viel an der Küste zu
fahren. Dort sollte es lange nicht so windig sein.
Ich kann von mir nicht behaupten, dass ich besonders mutig bin,
deshalb forderte der kommende Weg nicht nur körperliche Kraft,
sondern auch sehr viel mentale Stärke von mir. Als wenn die Welt zu
Ende wäre, stand ich auf einmal vor einer Hängebrücke, nur aus
Seilen und Holz gebaut. Nicht breiter als ein normaler Fußweg und
durch den Sturm gewaltig schwankend. Aber ich schaffte es.
Im nächsten Ort machte ich bei einer Fahrradwerkstatt halt, um
einige kleinere Reparaturen vornehmen zu lassen. Der Monteur
versicherte mir, dass jetzt wieder alles in Ordnung wäre und ich
konnte beruhigt weiterfahren.
Das letzte Teilstück der heutigen Strecke war nicht mehr
ausgeschildert. So musste ich mich auf meine Landkarten verlassen.
Wie durch einen Märchenwald führte der Weg lange an einem großen
See vorbei. Geschützt durch die Bäume spürte ich den Wind kaum noch.
15 Km vor meinem heutigen Ziel machte ich noch einmal eine Pause.
Ich musste unbedingt etwas Essen und mich ausruhen. Wie sich dann
herausstellte, war die Pause auch angebracht. Aus dem Wald
herausgefahren, war ich wieder dem Sturm ausgesetzt, der mich hin
und her schüttelte. Ganze 90 Minuten brauchte ich für das letzte
Teilstück.
Da der heutige Tag mal wieder ein "ich krieg noch eine
Krise"-Tag war, habe ich mir vorgenommen, morgen hier in
Stavanger einen
Tag Pause zu machen.
29.06.2002
Heute war wieder Pause. Außer frühstücken, Wäsche waschen,
einkaufen und ein Kurztrip in die Stadt Stavanger, Eis essen und
Kaffee trinken ist nicht viel geschehen.
Irgendwie hatte ich auch keine Lust mehr, mir noch viele Sachen
anzuschauen. Das Einzige was heute zählte, war Erholung.
Noch nicht einmal der See neben der Jugendherberge reizte mich
zum Schwimmen.
30.06.2002
Gefahrene Km 45
Zweimal fährt heute die Fähre nach Mosterhamn, einmal morgens um
08:00 Uhr und einmal um 13:00 Uhr. Da ich doch noch einige Kilometer
bis zur Fähre unterwegs sein werde, entscheide ich mich für die
Mittagsfähre, die um 15:00 Uhr in Mosterhamn ankommen wird.
Bis nach Bergen sind es dann noch 90 km. Das werde ich heute
Nachmittag nicht mehr schaffen, also versuche ich unterwegs ein
Quartier zu bekommen. In Leirvik wird mir eine Bleibe in einer Garage
angeboten. Ich bin gespannt, was mich dort erwartet.
Bis zu meinem Ziel fahre ich wieder durch eine sehr schöne
Gegend. Natürlich wieder durch die Berge, wobei ich mir überlegt
habe, dass ich doch viel lieber über die Berge, als durch flaches
Land fahre.
Die Garage befindet sich auf einem alten Bauernhof. Für mich wird
noch eine Matratze auf den Boden gelegt und mein Quartier für die
Nacht ist fertig. Bad und WC befinden sich im Kuhstall.
Die Leute vom Bauernhof sind aber sehr nett und laden mich noch
zum Abendessen ein. Es gibt Brot, Knäcke und Käse. Dazu ein Glas
Tee.
Während der Nacht war der Hof ziemlich verlassen. Ich achtete auf
jedes Geräusch und versuchte heraus zu bekommen, was das wohl sein
mochte. Schließlich war ich aber dann doch so müde, dass ich tief
und fest geschlafen habe. Ich hörte noch nicht einmal den Melker,
der morgens um sechs Uhr kommen wollte.
01.07.2002
Gefahrene Km: 53
Ein Frühstück gehörte nicht mit zur Übernachtung in der Garage,
so dass ich mich mit einem alten Brötchen begnügen musste, dass noch
von gestern in der Tasche lag.
Nach 15 km erreichte ich die Fähre, die mich meinem Ziel wieder
ein Stück näher bringen sollte. Dann kamen die letzten Berge auf
meiner Fahrt in Norwegen. Dabei bahnte sich die Sonne ihren Weg
durch die Wolken, sodass ich noch herrliche Aussichten genießen
konnte, die mich für die Anstrengungen des heutigen Tages
entschädigen sollten.
Die Jugendherberge in Bergen liegt mitten in der Stadt.
Ich suche mir ein Bett in dem riesigen Schlafsaal, den ich heute
Nacht noch mit vielen Reisenden teilen muss. Es wird die letzte
Nacht in Skandinavien sein.
Nach einer kurzen Erfrischung fahre ich zunächst zum Fährbüro, um
mir eine Fahrkarte für die Fähre zu den Shetland-Inseln zu
kaufen. Im Fährbüro erfahre ich, dass noch viele Radfahrer zu den
Inseln unterwegs sein werden. Weiterhin erhalte ich die
Telefonnummer der Jugendherberge in Lerwick, die sich sogar darauf
eingestellt hat, mitten in der Nacht noch Gäste aufzunehmen, die
voraussichtlich um 01:30 Uhr mit der Fähre auf der Insel ankommen
werden.
Den Rest des Tages verbringe ich damit, mir die Stadt
anzuschauen, die viel Leben, Sonne und eine Bimmelbahn bietet, mit
der ich noch eine kleine Rundfahrt machen konnte.
Wieder ist ein großer Abschnitt der Tour geschafft. Ich bin
gespannt, welche Abenteuer mich auf meinem weiteren Weg erwarten.
02.07.2002
Die Fähre legte erst am Nachmittag um 15:00 Uhr ab. Also hatte
ich noch viel Zeit um Bergen unsicher zu machen. Ich kaufte noch ein
paar Dinge ein und besuchte den Fischmarkt. Wobei ich natürlich auf
dem Fischmarkt auf Einkäufe verzichtete.
Beim Herumbummeln entdeckte ich noch eine kleine Galerie, die
wunderschönen Schmuck und andere Dinge ausstellte und zum Verkauf
anbot. Als Belohnung für das Durchhalten der letzten Wochen tauschte
ich noch Kronen gegen einige Kleinigkeiten ein. Man gönnt sich ja
sonst nichts.
Den Rest der Zeit verbrachte ich mit Warten. Zur Vorbeugung gegen
die Seekrankheit nahm ich lieber eine Pille. Ein wenig nervös war
ich doch vor der großen Überfahrt.